In den vergangenen Monaten war Real richtig in Rauflaune. Zuerst legte sich die Metro-Tochter mit ihren Lieferanten an, um bessere Einkaufskonditionen durchzusetzen.
Gleichzeitig nahm die SB-Warenhaus-Kette in Kauf, ihre Kunden nachhaltig zu verärgern, weil die über mehrere Wochen vor leeren Regalen standen. Die Markenartikelhersteller hatten aus Protest vorübergehend die Warenlieferung ausgesetzt.
Zuletzt bekamen die Mitarbeiter zu hören, dass nicht für ihre Arbeitsplätze garantiert werden könne, wenn sie nicht bereit wären, auf Geld zu verzichten.
Anders formuliert: Real hat in den vergangenen zwölf Monaten seine wichtigsten Partner vor den Kopf gestoßen. Um damit den eigenen durchzusetzen.
Jetzt ist es höchste Zeit, zu beweisen, dass sich dieses Risiko gelohnt hat. Real muss sich neu erfinden. Schon wieder, weil mit der vorigen Konzeptrenovierung seit 2013 nur notdürftig die größten Baustellen beschmückt wurden. Die Idee der neuen Geschäftsführung ist, Real zum “Food-Tempel” umzubauen; Ende des Jahres soll ein Pilotmarkt in Krefeld eröffnen. Warum das wenig Aussichten auf Erfolg hat, hab ich vor kurzem für W&V Online aufgeschrieben:
Viel bessere Aussichten hätte eine Strategie, die Real in dem stärkt, was das Unternehmen heute schon ausmacht, und es zu einer modernen SB-Warenhauskette fortentwickelt, die ihre Stärken gegenüber dem Wettbewerb besser ausspielen kann. Ein paar Beispiele:
1. Nonfood-Neuorganisation
Wir schreiben das Jahr 2016, und Real definiert das Einkaufserlebnis für seine Kunden immer noch – so:
Damit werden die SB-Warenhäuser vielleicht dem Kundenversprechen “Einmal hin, alles drin” gerecht, und sei es drum: Sollen Autoreifen, Schlüpfer und DVDs halt im Sortiment bleiben.
Doch warum zum Teufel muss der ganze Kram das erste sein, das die Kunden sehen, wenn sie einen Real-Markt betreten? Kurz bevor sie beim Einkaufswagennavigieren in Richtung Lebensmittelabteilung den 1-Euro-Schund-Aufsteller- Slalom zu bewältigen haben?
Das ist ungefähr so, wie wenn ich Sie zu mir nachhause zum Essen einlade, aber durch die rumpelige Garage ins Haus bitte: unfreundlich.
Nun hat diese Sortimentsplatzierung bei Real eine gewisse Tradition. Aber mit gut abgehangenen Traditionen werden sich kaum neue Kunden anlocken lassen, die Frische einkaufen wollen.
Real muss seine Märkte endlich so umorganisieren, dass das Warenhausgerümpel nicht mehr als Barriere zur Lebensmittelabteilung wahrgenommen wird. Konkurrent Rewe löst das in seinen neuen Centern schon ziemlich perfekt (siehe Supermarktblog). Real wird sich dem langfristig kaum verweigern können. Das bedeutet im Zweifel, sich von einigen Sortimenten ganz zu trennen, um Platz zu schaffen. Halb so schlimm: Was hilft eine ramschige Billigtextil-Abteilung, wenn sich im selben Fachmarkt-Center nebenan eine Kik-Filiale breit gemacht hat, die das viel besser kann?
2. Lebensmittel-Inszenierung
Eine der etabliertesten Weisheiten aus dem Alten Testament des Lebensmittelhandels lautet: Du sollst Obst und Gemüse direkt am Ladeneingang positionieren, auf dass deine Kunden frischebeschmust werden und kauflaunig.
Real versündigt sich – als direkte Konsequenz aus dem zuvor genannten Schlüpfer-Dilemma – seit Jahren daran und versteckt seine durchaus gut sortierten Obst- und Gemüseabteilungen am Ende oder in der Mitte vieler Märkte; manche davon sind in erdrückendes Dunkelgrün getunkt. Damit ist Real allen Renovierungen zum Trotz immer noch meilenweit entfernt von den Standards, die Händler im europäischen Ausland etablieren.
So wie die niederländische Kette Jumbo, die – wegen ihres fantastischen “Foodmarkt”-Konzepts – im Blog schon öfter Thema war. Wesentliche Elemente setzt Jumbo problemlos auch in Läden um, wo deutlich weniger Flanierraum ist.
Die Grundidee ist, frische Lebensmittel nicht in Abteilungen zu trennen oder in immer gleich aussehende Theken, Regalen und Truhen wegzusortieren. Sondern Obst, Gemüse, frische Pasta, Salate, Käse, Fisch und Fleisch so zusammenzuführen, dass die Kunden sie als Einheit wahrnehmen, weil die Sortimente flüssig ineinander übergeht. Wie auf einem guten Markt:
Bevor man sich versieht, steht man schon mit einem halbvollen Einkaufskorb mittendrin im Laden. (Mehr über Jumbo steht demnächst im Blog.)
Real muss lernen, Frische so zu inszenieren, dass die Kunden sich im Markt direkt in die vor ihnen stehende Tapas-Theke legen oder mindestens in die heimische Küche zurückbeamen wollen würden, um endlich mit dem Kochen anzufangen. Das geht aber nicht mit Dunkelgrün.
3. Aufenthaltsqualität
Einkaufen ist für viele Kunden ein lästiges Übel. Umso wichtiger wird es für Supermärkte und Discounter, den Aufenthalt im Laden so angenehm wie möglich zu gestalten. Das wissen die Real-Manager schon. Aber die Unfähigkeit, diese Erkenntnis in die Tat umzusetzen, ist beachtlich.
Weil Aufenthaltsqualität für Real bislang offensichtlich so aussieht: Wie zwei fleckige Polstersitze neben einem schmuddeligen Wasserspender mitsamt Schwingdeckelmülleimer, der aussieht wie der mit offenem Mund schnarchende, nach billigem Fusel riechende Bruder von R2D2.
In der Konservenabteilung.
(Das Foto ist keineswegs steinalt, sondern vom August 2016 aus einem nach dem aktuellen Essener Konzept umgebauten Markt in Berlin.)
Niemand erwartet beim Einkaufen eine Sofalandschaft, in der sich zwischendurch Kaffee trinken lässt, wenn die Kids sich gerade einig werden, welche Süßwaren heute mit Bequengeltwerden dran sind. Andererseits: wieso eigentlich nicht?
Ikea kriegt’s in seinen Möbelhallen ja auch hin:
Foto: Jürgen Kühner
4. Glaubwürdige Gastronomie
Deswegen (↑) ist es auch nicht per se eine schlechte Idee, Real mit gastronomischen Angeboten zu stärken, wie es die neuen Real-Chefs Henning Gieseke und Patrick Müller-Sarmiento angekündigt haben. Allerdings wäre es hilfreich, dabei auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Real hat mit Edel-Gastronomie soviel am Hut wie McDonald’s mit Slow Food.
Einer Umfrage von “Lebensmittel Zeitung” und Ipsos zufolge (Paywall) ist Reals “Der Metzgermeister” die Fleischmarke, die bei den Kunden das höchste Vertrauen genießt und bei der Qualität am besten abschneidet. (70 Prozent der Befragten haben hohes bzw. sehr hohes Vertrauen in “Der Metzgermeister”-Produkte, im Gegensatz z.B. zu “Gut Ponholz”-Produkten von Netto [ohne Hund], von denen das nur 40 Prozent der Befragten sagen; das Real-Ergebnis ist angesichts der Skandale in der Vergangenheit beachtlich.)
Kein Wunder, dass am Eingang zahlreicher Real-Märkte Stände aufgestellt sind, an denen es Wurst mit Senf oder Leberkäse im Brötchen gibt.
Weil es von der Wurst zum Tomahawk-Steak aber ein langer Weg ist, wäre es ratsam, mit der Erweiterung des gastronomischen Angebots vorsichtiger vorzugehen.
Den Trend zum Sushi, das im Laden täglich frisch vor den Augen der Kunden produziert wird, ist Real in einigen Läden schon mitgegangen (auf dem Foto: Berlin-Spandau).
Als Sofortmaßnahme ließen sich drei neue Gastro-Konzepte mit unterschiedlicher Ausrichtung entwickeln, die unterschiedlichen Regionen auf Erfolg getestet werden könnten und theoretisch in jeden Laden passen. Wie wär’s mit einer Burger-Bar? Oder einer Pasta-Schneise? Regionalen Spezialitäten mit charmanter Sitzgelegenheit? Die Kreativitäts-Förderkultur hat der Konzern doch schon im Haus. Andernfalls bleiben immer noch Kooperationen: Wenn McDonald’s bei Carrefour ankert, warum sollte Real nicht eine Mini-Vapiano-Dependance zu sich in die Märkte holen?
5. Stärkerer Eigenmarken-Fokus
Wer ins SB-Warenhaus einkaufen geht, der erwartet zuallererst: eine riesige Markenauswahl. Die bietet Real zweifellos (wenn nicht gerade wieder Stress mit den Lieferanten ist). Erst Eigenmarken machen einen Supermarkt aber unverwechselbar. In dieser Hinsicht gibt es einiges aufzuholen.
Standards zum Discountpreis stehen seit jeher unter der Marke TiP im Regal. Vor drei Jahren hat Real mit seinen “Ohne teuer”-Produkten noch eins druntergesetzt. Und damit exakt das Gegenteil von dem unternommen, womit man sich von einem der Hauptkonkurrenten abheben könnte: Kaufland. Unter “K Classic” ist dort vom Scheiblettenkäse bis zum Rohrreiniger so ziemlich alles unter einer Haube zusammengestopft, was nicht zueinander passt.
Mit seiner Mittelmarke “Real Quality” könnte Real den entgegen gesetzten Weg gehen und auf Besonderheit und Design setzen.
Raus aus dem Regal mit der Standard-Erdbeer-Marmelade, rein mit der Erdbeer-Rhabarber-Kirsch-Kombi. Wer Standards möchte, kann sich zur TiP-Variante bücken oder die Marke kaufen.
Aus diesem potenziellen Vorteil macht Real bislang viel zu wenig. Allerdings scheint gerade ein Umdenken einzusetzen.
Einige “Real Quality”-Produkte haben bereits ein überarbeitetes Design verpasst bekommen. Das Markenlogo auf der Packung ist nicht mehr billig in Rot-Blau gesetzt, sondern in edlerem Anthrazit und hat sich bei dieser Gelegenheit gleich das überflüssige weiß-beige Lätzchen dahinter weggerissen.
Die Schrift für die Produktnamen ist zwar gleich geblieben. Doch die Packungen wirken aufgeräumter, weniger verschnörkelt, fokussierter.
Manchmal reicht dafür schon der Perspektivwechsel aufs abgebildete Produkt. Bittesehr, einmal lecker Porridge aus der Vogel- Müder-Frühstücker-Perspektive:
Bei dunkleren Verpackungen leuchtet das Markenlogo in schickem Weiß. So wie auf den Real-Quality-Tiefkühlpizzen, die hochwertiger aussehen als die meisten daneben platzierte Markenprodukte.
Es hülfe halt, die Umstellung nicht ewig in die Länge zu ziehen und das rumpelige alte Design nicht ewig zombiehaft neben dem alten weiterleben zu lassen.
6. Spezialisierung
Ein Ruck geht durch die Tiefkühltruhe. Dort ist neuerdings Platz für französische Spezialitäten von Real Quality: Mini Eclairs, Himbeertarte, Quiche Lorraine – hübsch verpackt mit einem über die Packung laufenden Band in den französischen Nationalfarben. Dazu gibt Real Genussempfehlungen am Regal: Mini-Quiche? “Passt perfekt zum Wein.” Oui, certainement!
Insbesondere mit Blick auf die Discounter-Konkurrenz ist das eine clevere Strategie. Produkt-Besonderheiten, die z.B. Lidl nur begrenzte Zeit während Aktionswochen bietet, kann Real im Standardsortiment behalten.
Ähnliches gilt für die noch verhältnismäßig frische Marke “Real Permakultur”. Die fasst Obst und Gemüse in Bio-Qualität zusammen, das über die EU-Vorgaben für ökologisch erzeugte Lebensmittel hinausgeht und beim Anbau unter anderem einen sparsameren Umgang mit Wasser sowie den Erhalt von Artenvielfalt und Bodenschonung dank Mischkulturen verspricht.
Damit liefert Real eine Qualität, die sonst dem Bio-Fachhandel vorbehalten ist (der sich deswegen auch mächtig auf die Füße getreten fühlt).
Die Marke ist zwar hochgradig erklärungsbedürftig. Und wirklich optimal ist das bei der Präsentation in den meisten Märkten noch nicht gelöst. Aber “Permakultur” ist ein gutes Beispiel für Spezialisierungen, die sich Real viel öfter leisten müsste, um von Kunden als Alternative wahrgenommen zu werden.
7. Technik-Ehrgeiz
Bis vor zwei Jahren leistete sich Real in Tönisvorst mit dem “Future Store” eine besondere Filiale, in der beim wöchentlichen Einkauf neue Technologien ausprobiert werden konnten (siehe Supermarktblog von anno dazumal).
Seit 2014 ist das Zukunftslabor Geschichte, der Markt zur normalen Filiale zurückgebaut. Ohnehin haben sich viele der in Tönisvorst eingesetzten Spielereien anderswo nie richtig etabliert.
Dabei gehörte das Unternehmen schon früh zu den Handelsketten, die gegenüber neuen Techniken besonders aufgeschlossen waren.
In Real-Märkten standen schon Selbstbedienungskassen, als die noch aussahen als würden sie aus den Resten des Todessterns zusammengeschraubt. Real peppte triste Kühltheken mit Displayleisten auf, arbeitete an Lösungen fürs Einkaufen mit dem Smartphone, als das iPhone gerade mal seinen 3. Geburtstag feierte, und testete früh das Bezahlen per Fingerabdruck, das gerade zum mobilen Standard wird – und sich im Laden damals nicht durchsetzen ließ.
Das mag auch daran gelegen haben, dass die wenigsten Real-Märkte von den Neuerungen profitieren durften. Metro hat damit leichtfertig ein hervorragendes Alleinstellungsmerkmal verschenkt.
In zusammengeschrumpfter Form existiert der frühere Anspruch des Early-Adopter-Supermarkts noch immer (z.B. hat Real im Frühjahr als erstes Unternehmen das Bezahlen mit Payback Pay ermöglicht). Fakt ist aber auch: Im jetzigen Zustand eignen sich viele Läden schlicht und einfach nicht als glaubwürdiges Supermarkt-Technik-Mekka.
All das lässt sich ändern.
Sofern Metro es ernst meint mit Real, der notdürftigen Marktkosmetik ein Ende setzt und keinen radikalen, aber einen konsequenten Neuanfang wagt. Mit Logik und Verstand. Und der Zuversicht, Kunden gute Argumente nennen zu können, warum es sich wieder lohnt, den Einkauf öfter ins SB-Warenhaus zu verlegen.
Fotos: Supermarktblog